Bereitet den Weg des Herrn!

Der heilige Evangelist Markus beginnt seinen „Anfang der Frohbotschaft von Jesus Christus, dem Sohn Gottes“ mit dem Hinweis auf die Predigt des heiligen Johannes des Täufers: „Bereitet den Weg des Herrn! Macht eben Seine Pfade!“ (Mk. 1,1.3).
Diese Worte sind ein Widerhall dessen, was auch die alten Propheten schon verkündet hatten (vgl. Is.40,3; Mal. 3,1), die Zeugnis für das Kommen Gottes in dieser unserer Welt und für die Erlösung durch Ihn gegeben haben.
Es ist ein Aufruf, den auch die Kirche immer wieder neu verkündet, vor allem in der weihnachtlichen Vorbereitungszeit des Advent: Bereitet den Weg des Herrn! Macht eben Seine Pfade!
Christus ist zwar schon gekommen und hat als unser Heiland und Erlöser unter uns gewohnt. Aber dennoch ist es wichtig, Ihm immer wieder neu die Wege zu bereiten, sie eben zu machen, weil sie ohne Sorgsamkeit und Pflege - wie alles Irdische! - verfallen oder unpassierbar werden können. Im Altertum waren die Wege oft schlecht und nicht immer leicht zu befahren oder zu begehen, und auch für uns ist es trotz vielfältiger technischer Mittel noch immer eine wichtige Mühe und Aufgabe, Straßen in Ordnung zu halten oder gut zu bauen.
Auffällig ist, dass beim oben genannten Bild der Heiligen Schrift nicht wir uns auf den Weg machen, sondern Gott! Ist das nicht überraschend?
„Wir sind nur Gast auf Erden und wandern ohne Ruh mit mancherlei Beschwerden der ewigen Heimat zu“ heißt es zwar in einem alten Kirchenlied. Ja, wir sind Wanderer, aber wir wären ohne Weg und Ziel, so lange wir, durch unsere Sünden von Gott getrennt, nur auf unsere eigene Kraft und geistige Anlage bauen würden. Offenbar sind wir durch unsere Sünden so verwundet, dass wir zuerst von unserem Gott und Heiland aufgerichtet und geheilt werden müssen, um überhaupt einen wirklichen Schritt auf unser ewiges Ziel hin tun zu können! Gott will zwar wohl, dass wir uns aufmachen und unseren Weg gehen, aber an Seiner Hand! Aber Er weiß und wir selbst wissen es auch, dass wir Ihn brauchen und aus eigener Kraft unser Herz und unsere Augen kaum zum Himmel erheben, geschweige denn selbst den Weg finden oder wirklich gehen können!
Wenn Gott nicht zuerst uns entgegen und zu uns gekommen wäre, um uns an der Hand zu nehmen und den Weg zum Himmel, unserer eigentlichen Heimat in der Liebe zu Ihm, eröffnet und geführt hätte, wie hätten wir aus eigner Kraft der Finsternis der Sünde und der irdischen Trübsal entrinnen können?
In der Heiligen Nacht der Geburt unseres Herrn Jesus Christus hat sich erfüllt, was die Propheten und mit ihnen das ganze Volk Israel so lange erwartet und ersehnt haben:
„Juble und freue dich, Tochter Sion! – Denn siehe, ich komme und wohne in Deiner Mitte, - Spruch des Herrn. Und viele Völker werden an jenem Tage sich an den Herrn anschließen und zu meinem Volke gehören, und ich werde wohnen in deiner Mitte“ (Zach. 2,14f., nach anderer Verszählweise 2,10f.).
Die ganze Zeit des Alten Testaments ist gekennzeichnet von dieser stillen und hoffnungsfrohen Erwartung eines Erlösers, was eigentlich immer insgeheim auch ein Warten auf Gott selbst gewesen ist. Und doch ist das, was Gott einmal wirken würde, vor der Ankunft unseres Herrn und Erlösers für die Menschen hier auf Erden unvorstellbar gewesen!
Das griechische Wort für „Messias“ heißt „Christos“ und bedeutet „Gesalbter“. Im Alten Testament wurden Könige und Priester gesalbt. Als Messias wurde ein wahrer Mittler zwischen Gott und den Menschen erwartet, der dementsprechend vollkommener Priester und idealer Herrscher sein musste, um die Kluft zwischen Gott und Mensch zu überwinden und so alle vorläufigen Bundesschlüsse Gottes mit dem Menschen zur Vollendung führen zu können!
Das Neue Testament betont dieses neue und vollendete Priester- und Königtum Jesu an vielen Stellen durch das Zeugnis und das Handeln Jesu. Jesus selbst betont an vielen Stellen Seine priesterliche Sendung zur Erlösung der Welt und bekennt sich vor Pilatus auch klar als „König der Juden“ (vgl. Mt. 27,11)! Er wird aber auch schon vorher von den Menschen immer wieder als „Sohn Davids“ angesprochen, womit sie wohl nicht nur auf Seine Abstammung dem königlichen Geschlecht Davids hinweisen, sondern sicher noch mehr ihren Glauben an Seine Sendung als wahrer Messias ausdrücken wollten. Das Neue Testament bezeugt darüber hinaus klar eine Verwandtschaft Mariens mit Elisabeth, der Frau des Priesters Zacharias, was die Verbindung Jesu auch zum priesterlichen Geschlecht offenbar macht (siehe Lk.1).
Die Frau, die Jesus auf einer Wanderung durch Samaria am Jakobsbrunnen anredet, lässt die damals allgemeine Hoffnung auf eine baldige Ankunft des Messias, der der Vollender des bisherigen König- und Priestertums sein sollte, in ihren Worten erkennen: „Ich weiß, dass der Messias – das heißt der Gesalbte – kommt. Wenn er kommt, wird er uns alles künden!“ (Joh. 4,25).
Als Jesus ihr dann antwortete: „Ich bin’s, der mit dir redet!“ (Joh. 4,26), da war dies nicht nur überraschend, sondern äußerlich betrachtet natürlich zunächst unvorstellbar. Und doch muss es für diese Frau im Innersten eine hell strahlende, überzeugende und stimmige, schon Glaube, Hoffnung und Liebe erweckende Botschaft gewesen sein, so dass sie ihren Krug stehen ließ, in die Stadt lief und zu den Leuten sprach: „Kommt her! Da ist ein Mann, der mir alles gesagt hat, was ich getan habe. Ob das nicht der Messias ist?“ (Joh. 4,29)!
Die Menschen konnten sich das Kommen des Messias damals meist nur in der Gestalt eines irdischen Königs oder Priesters vorstellen. Dieses von Menschen erahnte, noch undeutliche Bild des erwarteten Messias hat Jesus nun aber im Herzen der Frau durch ein ganz neues, vollkommenes und übernatürliches Licht zur Vollendung und damit zur beginnenden Erkenntnis der wahren Erfüllung der schon vorhandenen Erwartungen gebracht.
Auch Seinen Jüngern musste Jesus erst allmählich das vollkommene Verständnis dessen erschließen, was in den Schriften im Hinblick auf einen verheißenen und erwarteten Messias zwar schon grundgelegt und verkündet, aber von den Menschen bis dahin kaum wirklich verstanden worden war.
„Bauet die Straße! Macht sie von Steinen frei… Seht der Herr lässt verkünden: ‚Saget der Tochter Sion: Siehe, dein Heil kommt!‘“ (vgl. Is. 62,10f.).
Der heilige Evangelist Johannes berichtet, dass anfangs nicht einmal die Jünger verstanden, dass „sie dabei mitgewirkt hatten“ (Joh. 12, 16), wie sich die Schriften erfüllten, als die Menschen - durch Zeichen, Worte und Wunder Jesu begeistert – bei Seinem Einzug in Jerusalem vor Ihm ihre Kleider auf den Boden breiteten und Ihn mit Zweigen in der Hand als messianischen König und Priester mit den Worten begrüßten: „Hosanna dem Sohn Davids! Gepriesen, der da kommt, im Namen des Herrn! Hosanna in der Höhe!“ (Mt. 21,9).
Jesus ritt als wahrer göttlicher Messias nicht wie ein irdischer König hoch zu Ross, sondern demütig und bescheiden auf einem jungen Esel, wodurch er andeutete, dass Er Sein Königtum nicht durch irdische Gewalt, sondern durch friedvolles Heimholen und Sammeln der verlorenen Schafe Seiner Herde aufrichtet, wie es schon in der Heiligen Schrift angekündigt worden war: „Laut juble, Tochter Sion! Aufjauchze, Tochter Jerusalem! Siehe dein König kommt zu dir, gerecht und als Heiland, voll Demut… Er reitet auf einem Esel, auf einem Füllen, auf einem Eselsfüllen!“ (Zach. 9,9).
Wir, die wir die Herrlichkeit unseres gekreuzigten und auferstandenen Herrn schon gesehen und in der Taufe die Gnaden des Heils als Unterpfand unserer Errettung empfangen haben, wollen nicht minder als die Menschen damals unserem Heiland und Erlöser freudig und feierlich den Weg bereiten, um Sein Kommen auch in unserer Zeit zu ermöglichen. Wie die Tore der Stadt damals sollen auch wir unsere Herzen heute für Gott öffnen, damit Er einziehen und sie mit Seinem Licht und Seiner Gnade erneuern kann!
„Die Liebe wird bei vielen erkalten“ (Mt. 24,12), sagt uns Jesus vom Ende der Zeit, und Er nennt uns auch den Grund: „Weil die Gottlosigkeit überhandnimmt“ (ebd.). Die Schöpfung ist aus der Liebe Gottes hervorgegangen. Ohne Gott verliert sie ihre ganze Schönheit und ihren Glanz. Wo sich die Menschen von Gott entfernen, verlieren sie auch die Kraft und den Mut zur Liebe.
Umgekehrt lehrt uns aber die Heilige Schrift auch, dass dort wahre Gottesfurcht und Frömmigkeit nicht sein kann, wo die Liebe erkaltet ist oder nichts gilt: „Wir lieben Gott, weil Er uns zuerst geliebt hat. Wenn jemand sagt: Ich liebe Gott, dabei aber seinen Bruder hasst, so ist er ein Lügner. Denn wer seinen Bruder nicht liebt, den er vor Augen hat, der kann auch den unsichtbaren Gott nicht lieben. Wir haben also das Gebot von Ihm: Wer Gott liebt, soll auch seinen Bruder lieben“ (1Joh. 4,19f.). Wahre Gotteserkenntnis und wahrer Glaube ist somit nur in der Liebe möglich.
Jesus erscheint uns in Bethlehem arm und in einer Krippe liegend. Schon am Beginn Seines Lebens zeigen sich ihm die Türen und damit die Herzen Seines Volkes weitgehend verschlossen, während Fremde aus fernen Ländern herbeieilen, um Ihn zu suchen und Ihn schließlich auch finden. Wo der Mensch zur Liebe bereit ist, hat er sein Herz immer schon ein Stück dem Anruf Gottes geöffnet, selbst wenn er Gott noch nicht kennen sollte. Wir sollen unsere Herzen nicht verschließen und durch unsere Liebe auch den anderen Menschen helfen, ihre Herzen für Gott zu öffnen.
Die Wege für Ihn bereiten wir vor allem durch die Abkehr vom Bösen, die Mäntel und die Zweige, die wir unserem Heiland huldigend zu Füßen legen, sind unsere Werke der Liebe.
Jesus schenkt und offenbart eine Liebe, die weit über das Maß der natürlichen Liebe hinausgeht, die auch die Heiden haben, wenn sie die Angehörigen ihrer Familie oder ihres Stammes lieben. „Wenn ihr nur denen Gutes tut, die euch Gutes tun, welcher Lohn steht euch zu? Dasselbe tun ja auch die Sünder… Auch die Sünder leihen einander, um das Gleiche dafür wiederzuerhalten. Liebt vielmehr eure Feinde, tut Gutes und leiht, ohne etwas zurückzuerwarten. Dann wird euer Lohn groß sein, und ihr werdet Kinder des Allerhöchsten sein; denn Er ist gütig gegen die Undankbaren und Bösen. Seid also barmherzig, wie euer Vater barmherzig ist“ (Lk. 6,33ff.).
Das heißt nicht, dass die Liebe nicht sinnvoll und geordnet sein soll, dass sie keine Prioritäten setzen sollte. Es bedeutet vielmehr, sich in der Liebe an Gott selbst zu orientieren.
So überwindet die Liebe alle Schwierigkeiten, die uns durch unsere Begrenztheit oft gesetzt sind, und verliert sich auch nicht in überflüssigen Nebensächlichkeiten, sondern hat immer das Wesentliche vor Augen. Sie wendet sich nicht ab von der Not, und konzentriert sich auf das, was wirklich gefordert ist.
„Er kam in Sein Eigentum. Aber die Seinen nahmen Ihn nicht auf“ (Joh. 1,11), erinnert uns die heilige Kirche nach jeder heiligen Messe im Schlussevangelium. Es ist eine beständige Mahnung an uns, Gott nicht durch einen Mangel an Liebe an Seinem Kommen zu uns zu hindern.
„Manche haben, ohne es zu wissen, Engel beherbergt“, sagt der Hebräerbrief (13,2). Als Gottes Sohn hier auf Erden erschien, haben Ihn jedoch viele nicht erkannt, weil ihre Herzen verhärtet waren. „Das wahre Licht, das da erleuchtet jeden Menschen, kam in die Welt. Er war in der Welt, die Welt ist durch Ihn geworden, und doch hat die Welt Ihn nicht erkannt“ (Joh. 1,9).
Gerade dann, wenn die Liebe bei vielen erkaltet oder auch missbraucht wird, ist es notwendig, das Licht, das in der Welt durch das Kommen Jesu Christi erschienen ist, nicht unter den Scheffel zu stellen, sondern es vor allem in unsere Herzen eindringen und so auch in die Welt hinaus leuchten zu lassen, so dass die Welt in ihrer gottfernen Dunkelheit und Kälte wieder Christus als die wahre Sonne, die alles hell macht und erwärmt, erkennen kann!
Mit der Liebe Christi kam auch die wahre Weisheit, deren Fehlen in dieser Welt schon die Propheten beklagten: „Den Weg der Weisheit erkannten sie nicht, … auch kamen sie um, weil sie nicht Einsicht besaßen. Sie gingen zugrunde in ihrer Torheit“ (Bar. 3,23.28). Wer hat die Weisheit Gottes „aus den Wolken herabgebracht? … Der alles weiß, kennt sie und erfand sie durch Seine Klugheit… So ist unser Gott; kein anderer ist Ihm zu vergleichen. Er erfand alle Wege zur Weisheit, und lehrte sie seinem Diener Jakob, seinem Liebling Israel. Hernach erschien er auf der Erde, und wandelte unter den Menschen“ (Bar. 3,29.32.36ff.).
Das Kommen Gottes in unsere Welt ist somit das größte Geschenk und die größte Gnade der Weltgeschichte. Jesus hat Sünde, Finsternis und Tod überwunden und uns als Seine Kinder wieder neu in die Herrlichkeit des Reiches Gottes berufen, indem Er durch Seine Gnade unsere Herzen umgestaltet und erneuert. Seit Gott selbst in Seinem Sohn hier auf Erden erschienen ist, hat für die Menschheit die Zeit der Gnade begonnen, für die wir aber unsere Herzen öffnen müssen, damit wir sie erkennen, annehmen und zu unserem Heil und zum Heil unserer Mitmenschen auch wirksam werden lassen können.
Das ist der Grund, warum uns die Kirche im Advent, in dem wir der Ankunft unseres Erlösers gedenken und uns auch auf Seine Wiederkunft am Ende der Zeit vorbereiten, immer wieder neu daran erinnert, die Wege des Herrn zu bereiten! Gerade in den Nöten, die wir in Kirche und Welt mit Christus erdulden, wollen wir uns vom Licht, das uns in der Heiligen Nacht mit dem Kommen Jesu Christi aufgestrahlt ist, erleuchten lassen, damit auch die Welt heute in unserem Tun die Liebe Christi, unseres Heilandes und Erlösers erfahren und so an der Gnade Gottes Anteil erlangen kann!

Thomas Ehrenberger

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